Eines vorweg:
Begabung ist keine Frage der Abstammung.
Und Migranten sind nicht gleich Migranten.
Migranten werden in Deutschland in erster Linie mit Türken assoziiert, daher möchte ich mich dieser Gruppe widmen.
Mein Ziel ist es, zunächst die ethnische Diskriminierung – auch im Zusammenhang mit Hochbegabung – als Thema noch stärker ins öffentliche Bewusstsein zu bringen, damit eine Änderung des gesellschaftlichen Klimas und der deutschen medialen Berichterstattung erzielt werden können.
So wie es allgemein Unterschiede unter Menschen gibt, gibt es auch gravierende Unterschiede unter den türkischstämmigen Migranten. Aus meiner Sicht möchten bestimmte deutsche Medien seit über 50 Jahren weitgehend lieber das Bild des bildungslosen Ali´s wahrnehmen und dies der Öffentlichkeit vermitteln, der gewaltbereit durch die Straßen schlendert und sich an der nächsten Straßenecke die Drogenspritze verpasst. Die Tatsache, dass es aber auch
einen Veli gibt, der sich als Migrant in Deutschland gut integriert hat und die ihm auf den Weg gelegten vielen Hindernisse versucht zu bewältigen, wird oftmals ignoriert. In der (Schul- und Hochschul-)Bildung wird das resultierende Zick-Zack-Vorankommen des Veli´s nicht honoriert. Und da gibt es noch die Ayse, die wegen ihrer westlichen Einstellung und großen Potentiale von ihrer Familie und/oder von ihrem türkischem Umfeld sanktioniert oder gar mit Gewalt daran gehindert wird, sich zu bilden und persönlich weiterzuentwickeln. Hinzu kommt der Mehmet, der notorisch integrations- und entwicklungsresistent ist und trotz akademischem Abschluss im Kopf in der Steinzeit zurückgeblieben ist. Da sind sogar seine Gastarbeiter-Eltern im Denken fortschrittlicher. Mehmet missbraucht gerne den Islam mit Tradition und Politik, um seine Bequemlichkeit und Engstirnigkeit zu fördern und zu verbreiten. Dann gibt es noch die weltoffene und hochbegabte Fatma, die nicht nur wegen ihres südländischem Aussehens, ihrer Vielfalt, Lebendigkeit, Begeisterungsfähigkeit, ihrem Migrantenstatus, sondern auch wegen ihres zusätzlichem Andersseins, die eine Hochbegabung von Natur aus mit sich bringt, den Lebens- und Kulturenkampf auf sich genommen hat. Fatma, die ewige Zeitblüte, wurde nämlich in der Kindheit nicht als Hochbegabte erkannt und gefördert. Du kannst davon ausgehen, dass Fatma seitens der deutschen und insbesondere seitens der türkischen Gesellschaft in Deutschland vielfältigen Formen von Ausgrenzungen und ggf. Schikanen ausgesetzt ist. Die Kombination „Frau sein, muslimisch sein, Türkin sein, Migrantin sein, hochbegabt sein“ lässt Diskriminierung von außen auf allen Ebenen grüßen.
Alle diese von mir bildhaft dargestellten türkischstämmigen Migrantenfiguren haben eines gemeinsam. Egal, wie lange sie in Deutschland leben und egal, was sie im positivsten Sinne tun; sie werden von der deutschen Politik, dem starren Schulsystem und der Gesellschaft defizitorientiert betrachtet und sie werden niemals als ein wirklicher Teil dieses Landes authentisch akzeptiert. Das Thema „Begabung“ im Rahmen der Interkulturalität und das ressourcenorienitiertes Denken sowie Handeln werden leider noch weitgehend vernachlässigt. Begabung ist keine Frage der Abstammung; daher fordere ich auf politischer, wirtschaftlicher, medialer und sozialer Ebene die Gleichbehandlung aller Migranten mit den Einheimischen, damit kein „Ihr und Wir“, sondern nur „Wir“ entsteht und sich manifestiert.
© Çiğdem Gül / 27.11.2015
Picture (little tibetan girl) thanks to © Gil Azouri (Tel Aviv / Israel)
Gil Azouri is a medical doctor and an internationally award winning photographer.
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