Von Franziska Dittrich – 23.01.2018
Den heutigen Beitrag möchte ich einem Thema widmen, das für mich selbst gerade einmal wieder brandaktuell ist. Heutzutage ist es eine angesehene Floskel, zu jeder Gelegenheit zu äußern, „wie viel Stress man doch gerade hat“. Für viele ist der Stresspegel schon zum Statussymbol mutiert und wer nicht im selben Maße „gestresst“ ist, gilt schnell als weniger erfolgreich und zielstrebig. Mit den Jahren habe ich herausgefunden, dass ich als Hochbegabte eine ganz andere Art von „Stress“ erlebe als die Normalwelt und somit auch in diesem Bereich oft auf Unverständnis stoße.
In meinem Leben gibt es auch hier offensichtlich nur schwarz oder weiß. Entweder mein Stresspegel ist so niedrig, dass ich zu Tode gelangweilt bin und das Gefühl habe, alles stagniert oder er ist tatsächlich so hoch, dass ich nicht mehr weiß, wo rechts und links ist und sogar teilweise das Essen vergesse, weil ich so vertieft in eine oder mehrere Sachen bin. Obwohl ich diesen Mechanismus inzwischen durchschaut habe, ist es für mich dennoch oft schwierig, aus den damit verbundenen Mustern auszusteigen. Nachfolgend möchte ich gerne kurz auf das Thema Stress an sich eingehen, einen Schwank aus meinem persönlichen Stress-Repertoire erzählen und meine persönlichen Auswege aus dem Hamsterrad mit Euch teilen.
Was ist eigentlich Stress?
Bevor ich auf die Besonderheiten des Themas in Bezug auf Hochbegabte eingehe, möchte ich gerne vorab noch den Unterschied zwischen positivem und negativem Stress erläutern. Aus meiner Sicht sind beide Arten von Stress hausgemacht und jederzeit auszumerzen. Bei negativem Stress fällt es uns glücklicherweise häufig noch leichter, die Bremse zu ziehen als bei positivem Stress.
Negativer Stress entsteht immer dann, wenn wir das, was gerade passiert (also ist) ablehnen. Meist sind die Auslöser entweder unerwünschte, von Dritten herbeigeführte Veränderungen in unserem Leben (begonnen bei Banalitäten wie dem Warten im Stau bis hin zu Themen wie Trennung, Kündigung durch den Arbeitgeber, ….) oder Ängste und Sorgen. Wir fühlen uns als Opfer, der Situation hilflos ausgesetzt und empfinden dadurch Stress.
Positiver Stress hingegen entsteht dann, wenn wir uns voller Euphorie einer Sache verschreiben oder unseren Terminkalender bis zum Anschlag und darüber hinaus mit schönen Dingen füllen. Auch wenn das zunächst verlockend klingt, sind beide Arten von Stress auf Dauer definitiv gesundheitsgefährdend.
Stress im privaten Bereich
In den letzten Jahren habe ich zunehmend gemerkt, dass für mich viele Situationen in Stress ausarten, die für andere nicht annähernd damit verbunden sind. Ich führe das hauptsächlich auf meinen (für Hochbegabte typischen) unermüdlichen Perfektionismus, starke Verbundenheit zu meinen Werten und meine ausgeprägte Neigung zum Planen zurück.
Wenn der langersehnte Urlaub sich ankündigt beginnt für mich schon Wochen vorher der (positive) Stress. Schließlich muss ja alles von A-Z geplant und bedacht werden. Ich beginne, Checklisten und Packlisten zu schreiben, plane Routen und Ausflüge und setze mich intensiv mit meinem Reiseziel auseinander. Jeder Handgriff muss sitzen und die täglichen „Vor dem Urlaub To Do-Listen“ müssen penibel abgearbeitet werden. Wenn es dann endlich so weit ist stelle ich jedes Mal fest: Der ganze Stress war fast umsonst. Es kommt ohnehin anders als geplant und mein Plan von gestern muss morgen schon nicht mehr passend sein – schade eigentlich. Dennoch wiederholt sich dieses Muster fortwährend und ich könnte nicht guten Gewissens anders handeln.
Neben Ehrlichkeit ist Loyalität einer der großen Leitwerte in meinem Leben. Auch die Loyalität muss natürlich perfekt gelebt werden – wie könnte es auch sonst sein, oder?
Wenn ich also mit meinen hochsensiblen Antennen wahrnehme, dass irgendjemand, der mir etwas bedeutet, Hilfe gebrauchen könnte, bin ich sofort zur Stelle. Unabhängig davon, welchen Preis ich dafür zahlen muss, welchen Aufwand ich in Kauf nehmen muss und wie gut das eigentlich in meine aktuelle Situation passt. Zusätzlich zu den Menschen, die mir nahestehen, kommen dann noch die flüchtigen Bekanntschaften, die meine wohlwollenden Schwingungen empfangen und mich ungefragt in ihre Lebensgeschichte einweihen und mir ihr Herz ausschütten. Da ich auch in meiner Hilfe meine perfektionistische Art sehr exzessiv auslebe, kann dies durchaus auch in großen Stress ausarten.
Stress im Job
„Es ist doch nur dein Job…“ ist einer der Sätze, die mein Gehirn inzwischen aufgrund inflationärer Verwendung durch Außenstehende schon fast ungehört löscht. In meinem Leben ist nichts „nur irgendetwas“. Entweder 100% oder gar nicht, schwarz oder weiß. Diese Ansicht scheint für die Normalwelt nur sehr schwer verständlich zu sein.
Das Gehirn von Hochbegabten hungert nach Herausforderungen und nimmt nahezu jede sich bietende Gelegenheit wahr, um weiter zu wachsen. Dabei kann es schon einmal dazu kommen, dass man sich maßlos überfordert. Hier noch eine zusätzliche Aufgabe, dort noch ein paar Kleinigkeiten für den Chef erledigen, ein Projekt mal schnell kurz vor der Deadline retten – kein Thema, oder? Natürlich muss dann auch alles zu mindestens 100% perfekt gemacht werden und am besten gleichzeitig. Als Hochbegabte wäre alles Normale doch auch zu langweilig für uns…
Dennoch merke ich selbst immer wieder, dass auch meine Ressourcen begrenzt sind und ich nach einer längeren Phase wie soeben beschrieben ziemlich am Ende meiner Kräfte bin. Umso frustrierender ist es dann, dass das Umfeld aus meiner Erfahrung häufig mit Unverständnis auf die Erschöpfung reagiert, denn „Du bist doch selbst schuld, hättest ja nicht so viel Gas geben müssen.“. Irgendwann begann ich zu verstehen, dass Außenstehende (also die Normalwelt) gar nicht annähernd nachvollziehen können, welche unglaubliche Leistung wir erbringen, bevor wir einmal beginnen, erschöpft zu sein und zu jammern. Im Umgang mit Anderen muss ich mich sehr häufig beherrschen, ihre Art von Stress (der schon lange begonnen hat, bevor ich überhaupt ein Anzeichen wahrgenommen hätte) auch ernst zu nehmen. Sich als Hochbegabter mit der Normalwelt über Stress im Job auszutauschen ist daher nahezu aussichtslos und man sollte sich vorher gut überlegen, ob man sich diese Diskussionen on top aufbürden möchte.
Stressbewältigung leicht gemacht
An dieser Stelle möchte ich zwei Tools mit Euch teilen, die sich für mich schon in sehr vielen Situationen als hilfreich erwiesen haben.
Achtsamkeit
Der Schlüssel zu mehr Gelassenheit ist für mich definitiv Achtsamkeit. In der Hast des Alltags vergessen wir häufig, was eigentlich wichtig ist und lassen uns leicht aus der Bahn werfen von dem ganzen Trubel im Außen. Fokussiert zu sein kann Dir ungemein dabei helfen, Deinen Stress zu mindern und Dich innerhalb kurzer Zeit wohler zu fühlen.
Die Erfolgsformel ist ganz einfach: Tue was Du tust, sonst nichts.
Das mag zunächst vielleicht banal für Dich klingen, aber halte einen Moment inne und überlege Dir, wann Du zuletzt nach dieser Formel gehandelt hast. Hochbegabte neigen ganz besonders dazu, sehr viele Dinge gleichzeitig zu tun, um nicht gelangweilt zu sein. Wenn wir essen, Auto fahren, Unterhaltungen führen, Dinge erledigen, ja sogar wenn wir einfach nur von A nach B laufen sind wir meist mit unseren Gedanken an einem ganz anderen Ort. Wir konzentrieren uns nicht auf das, was wir gerade tun, sondern zerbrechen uns den Kopf über die Zukunft, schwelgen in der Vergangenheit oder lenken uns mit Dingen wie sozialen Medien, Smartphones oder dem Fernseher ab. In der heutigen Zeit haben wir es uns abgewöhnt, zu hinterfragen. Wir hinterfragen es nicht, beim Zähneputzen unsere Emails zu lesen, neben dem Frühstücken Zeitung zu lesen oder während des Autofahrens zu telefonieren. All das haben wir schon als Normalzustand akzeptiert.
Wenn Du Dich das nächste Mal gestresst fühlst und nicht weißt, wo Dir der Kopf steht, nehme Dir einen kurzen Moment Zeit, halte inne und besinne Dich auf das, was Du gerade tust. Nichts anderes ist in diesem Moment wichtig, nichts hat Bedeutung außer das Hier und Jetzt. Wie fühlt sich der Boden unter Deinen Füßen an? Wie geht es Dir heute wirklich? Wie fühlt sich Dein Körper gerade an? Welche Konsistenz, welchen Geschmack hat die Mahlzeit, die Du gerade zu Dir nimmst? Spürst Du den Luftstrom an Deiner Nase wenn Du ein- und ausatmest?
Innerliche Gelassenheit führt automatisch zur Entspannung des Körpers und umgekehrt kann die bewusste Entspannung des Körpers auch innerliche Gelassenheit verursachen. Nehme Dir bewusst kurze Auszeiten im Alltag und unterbreche Dein Gedankenkarussell.
Der Kreis
Für mich hat es eine unglaublich beruhigende Wirkung, wenn ich mir darüber bewusst werde, in welchem Maß ich einen Einfluss auf die Dinge und Umstände habe, die mich gerade stressen. Reinhold Stritzelberger hat das Ganze in seinem kleinen Ratgeber „Selbstmotivation – Wie Sie dauerhaft leistungsfähig bleiben“ (S. 24 ff.) sehr schön bildlich veranschaulicht.
Alles was in meinem „ICH-Bereich“ liegt, kann ich zu 100% beeinflussen. Hierzu zählen meine Emotionen, meine Gedanken und meine Handlungen.
Der Einfluss-Bereich beinhaltet 0,1% bis 99,9 % aller äußeren Umstände, an denen ich zumindest etwas verändern kann. Beispielsweise könnte ich mit Beteiligten sprechen und Termine oder Deadlines verschieben.
Zu guter Letzt gibt es dann noch den Interessens-Bereich, auf den ich keinerlei Einfluss habe. Wenn für mich beispielsweise das Wetter ein Stressfaktor ist, habe ich schlechte Karten, wenn ich nicht an meiner Einstellung („ICH-Bereich“) arbeite – das Wetter wird sich vermutlich nicht für meine Befindlichkeiten interessieren.
Wenn Dich das nächste Mal etwas stresst, versuche einmal, das Thema ganz objektiv in den Kreis einzuordnen. Vermutlich wirst Du in den meisten Fällen zu dem Schluss kommen, dass Du im ersten Schritt Deine Gedanken oder Emotionen verändern musst. Sicherlich kann man auch an den äußeren Umständen oft etwas verändern, allerdings sollte man sein Glück und seine Zufriedenheit nicht davon abhängig machen. In meinem näheren Umfeld hat sich inzwischen der Ausspruch: „STOP, nicht dein Kreis. Was kannst Du dafür tun, dass es Dir damit besser geht?“ etabliert.
Fazit
Stress kennen wir alle und immer werden wir ihn auch nicht vermeiden können. Wichtig zu wissen ist nur, dass die Tür zum Glück immer nach innen aufgeht.
Wenn Du Dir als Hochbegabte(r) Deiner Stärken und Schwächen bewusst bist, fällt es Dir hoffentlich leichter, manchmal ein bisschen locker zu lassen und Dich wieder auf das Wesentliche zu besinnen.
© Franziska Dittrich
B.A. Wirtschaftspsychologie & Betriebswirtschaft
Corporate Development & Administration Manager
Hochbegabte Autorin in München/Deutschland
Bild / Picture thanks to © Franziska Dittrich