Melancholie
Die Vorfreude in der Traurigkeit
Von Çiğdem Gül
Wuppertal/Deutschland
Für Menschen mit einer hohen Empfindsamkeit stellt unsere heutige schnelllebige und oberflächliche Gesellschaft eine besonders große Herausforderung dar. In Zeiten, in denen die Bandbreite an Emotionen eines Menschen gesellschaftlich wie Stiefkinder behandelt werden, ist es kein Wunder, dass die Melancholie ebenso verdrängt, belächelt oder gar verachtet wird. Dabei ist die Melancholie ein Luxus; so wie auch Ruhe, Alleinsein und Muße. Aber Innehalten ist für viele Menschen ein Horror; es könnte ja sein, dass da so was wie Melancholie aufkäme, pfui!…;-)
Ich glaube, viele Menschen wissen oder begreifen (noch) nicht, warum eine traurige Seite in der Freude existieren sollte. Hierzu werde ich im Laufe meines Textes näher eingehen.
Nicht jeder Mensch spürt die Melancholie. Melancholie spüren sehr sensible – insbesondere hochempfindsame – Menschen, die an der Unvollkommenheit der Welt leiden; denn sie nehmen das Leid der Welt aufgrund ihrer Hochbegabung der Sinne um ein Vielfaches mehr wahr. Dabei spüren sie das Leid der Welt und das eigene Leid viel differenzierter und intensiver. „Der Melancholiker befindet sich in einer Melodie, die tanzen will, während er aber noch Leid spürt“, erklärte mir mein Seelenfreund. Spätestens bei diesem Gespräch mit meinem Seelenfreund begann ich das Thema der Melancholie mit anderen Augen zu betrachten.
Es ist keine Seltenheit, dass die Melancholie mit Depression gleichgesetzt wird. Zugegeben kann die Melancholie in Depression ausarten, wenn der Betroffene mittelfristig und langfristig die Kontrolle über seine melancholische Seite verliert. Ein Übermaß an Melancholie kann krank machen.
„Gesunde“ MelancholikerInnen sind sehr sehnsuchtsvolle Menschen. Dabei handelt sich nicht um die herkömmliche Sehnsucht, basierend aus dem Defizit vom Materiellen, Status, Geld, Macht etc.. Es ist die höhere Sehnsucht derjenigen nach etwas, die das Licht schon mal gesehen hatten. Es ist die Sehnsucht nach einem besonderen Moment und/ oder nach einem besonderen Ort. Das ist sein Ziel. Der Melancholiker ist innerlich unterwegs, um dieses Ziel zu erreichen. Die Melancholie ist also die Freude, die noch nicht ausgelebt wird; daher ist sie die VOR-FREUDE. Dabei spürt der Betroffene in der Melancholie seine Vorfreude, das Ziel bald durch den inneren Weg der Traurigkeit zu erreichen. Erst dann, würde er die FREUDE spüren. Melancholie ist für mich die Raupe im Kokon, die sich darauf freut, bald ein Schmetterling zu werden… und zu fliegen.
Ich fühle mich in meinem Wesen und in meiner Seele erst durch die Einbeziehung und durch das Ausleben meiner Melancholie vollständig. Das war in der Vergangenheit nicht immer so. Zu sehr verachtete ich sie. Heute bin ich in der Melancholie sehr gerne Zuhause. Ich möchte im Leben nie wieder nur Freude oder nur Leid spüren müssen; denn sie gehören eigentlich immer zusammen und sollten nicht isoliert spürbar sein. Das eine oder das andere vorhandene Gefühl auszuschließen wäre nicht gesund. Daher erlaube ich mir, sowohl Freude als auch Leid sowie alle anderen Gefühle im Zusammenhang nebeneinander oder nacheinander als Gesamtweltgefühl zu spüren. Meine Melancholie bedeutet folglich nicht, die Traurigkeit als Absturz zu erleben. Nein, meine Melancholie trägt behutsam und schützend meine Traurigkeit. Und die Traurigkeit ist nicht immer ein schlimmes Gefühl, wie unsere Gesellschaft und die Medien dies suggerieren. Die Traurigkeit, wenn dahinter nur die Melancholie steht, ist nur ein Weg um wieder aufzustehen, damit über sie das Ziel der Freude erreicht werden kann. Die wunderschöne Blüte der Melancholie gedeiht und wächst bei sensiblen Menschen zu der vollen Pracht einer roten Rose.
– ENDE –
Die Fotografien wurden mit freundlicher Genehmigung unserer Freundin und Kooperationspartnerin © Giovanna Aryafara (Bali/Indonesien) veröffentlicht.
Über Giovanna Aryafara
Giovanna Aryafara ist eine australische Fotografin, die in Indonesien lebt. „Ihre Arbeiten bieten Zugang zur Schönheit unserer Erde, inspiriert von der Liebe, die Vielfalt menschlicher Erfahrungen zu teilen. Giovanna Aryafara begann ihre lebenslange Leidenschaft für die Fotografie vor 40 Jahren in Sydney, Australien, und setzte sie in Neuseeland als Schulfotografin fort Im Laufe der Jahre hat sie ihre Arbeiten in Australien, Bali, Brasilien und Thailand ausgestellt, beim Africa Photo Festival 2018 in New York, beim Atlas of Humanity in Paris und Italien 2019 sowie beim Atlas of Humanity in Paris und Mailand im Jahr 2022. Giovanna gewann den Fotowettbewerb „Afrika im Fokus 2020“ in der Kategorie „Menschen / Kulturen & Gemeinschaften Afrikas“.
Giovanna reist jährlich nach Indien und Äthiopien, sowohl für ihr Geschäft als auch für die Fotografie. Ihre Liebe für Fotografie, Kunst, Stoffe und Stammeshandwerk kommt in ihren hoch angesehenen Haushaltswaren- und Lifestyle-Geschäften „Bungalow Living Bali“ zusammen. Sie hat auch eine Fotogalerie und ein Kaffeehaus in Bali. Ihre Arbeiten sind in ihren beiden Einzelhandelsgeschäften und in der Galerie ausgestellt.
Weitere Infos über Giovanna findest Du hier:
Website: https://giovannaphotography.com
Instagram: @giovannaphotography
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