Im Rahmen meines mehrseitigen Fachartikels über das Thema des Narzissmus – im Kontext von Interkulturalität und Hochbegabung -, möchte ich den Betroffenen narzisstischen Missbrauchs die persönlichen und die juristischen Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Hierzu habe ich ein Interview mit Herrn Rechtsanwalt Matthias Büchel in Bergheim/Erft (Nähe Köln/Deutschland) geführt. Im unten stehenden Interview dienen die Antworten von Herrn Büchel nur als erste allgemeine Orientierung und ersetzen keine Rechtsberatung für die individuelle Situation.
Zur besseren Lesbarkeit bezeichne ich den Träger der narzisstischen Persönlichkeitsstörung als »Narzissten«
Die Diagnose der narzisstischen Persönlichkeitsstörung darf nur ein Facharzt für Psychiatrie und Psychoanalyse oder ein erfahrener Psychotherapeut bzw. Psychologe (Heilpraktiker nur mit Ausbildung Verhaltenstherapie) erstellen.
Der zu Gleichberechtigung und Wertschätzung aller Geschlechter dienende gendersensible und inklusive Sprachgebrauch (gilt nicht nur Frauen und Männer, sondern auch trans* und inter*geschlechtliche Personen) hat für unser weltweites Netzwerk Intercultural Network For The Highly Gifted (INHG) einen hohen Stellenwert. Ich verwende in meinem Interview nur aus Gründen der besseren Lesbarkeit das grammatische Maskulinum. Mit Ausnahme der Textabschnitte, die ich kenntlich gemacht habe, ist mein Interview daher geschlechterunspezifisch ausgerichtet.
Çiğdem Gül
Rechtsanwalt Matthias Büchel
im Interview über Narzissmus
im Familienrecht und Strafrecht in Deutschland
Von Çiğdem Gül
09. Dezember 2023
Interview
Çiğdem Gül: Herr Büchel, können Sie sich uns kurz vorstellen?
Matthias Büchel: Gerne. Mein Name ist Matthias Büchel und ich bin beruflich als selbständiger Anwalt in der Nähe von Köln tätig. Meine Rechtsgebiete sind Familienrecht, Strafrecht, Mietrecht, Baurecht und Arbeitsrecht. In den ersten beiden Bereichen bin ich bundesweit tätig, in den anderen regional. Wenn ich nicht gerade Menschen bei der Lösung ihrer Probleme helfe, spiele ich leidenschaftlich gerne Posaune, vor allem Jazz. Und ich bin viel in der Natur unterwegs.
Çiğdem Gül: Was sind aus Ihrer Erfahrung Themen, Probleme und besondere Freude-Momente aus dem Anwaltsalltag?
Matthias Büchel: Die Themen und Probleme, die auf einen Anwalt im Berufsalltag zukommen, sind praktisch unendlich, da sich die Gesetze und die Rechtsprechung permanent ändern. Besondere Freude-Momente gibt es bei mir außerordentlich viele. Ich freue mich vor allem sehr darüber, wenn ich merke, dass meine Mandanten nach einer Beratung oder auch einer längerfristigen Vertretung wieder Perspektive und Hoffnung haben, nachdem sie sich anfangs völlig verzweifelt bei mir gemeldet haben. Diese Momente sind auch der Hauptgrund, warum ich diesem Beruf nachgehe. Das bedeutet nicht, dass es für jedes Problem meiner Mandanten eine perfekte Lösung gibt, aber es ist für die Mandanten unglaublich hilfreich zu wissen: »Das ist in meiner Lage möglich und so muss ich es angehen.«
Çiğdem Gül: Gibt es für Sie als Rechtsanwalt Kriterien, wonach sie ihre Mandantschaft auswählen? Wenn ja, warum? Wen würden Sie nicht verteidigen?
Matthias Büchel: Es gibt vor allem zwei Gruppen von Personen, denen ich nicht als Anwalt zu Verfügung stehe. Die erste Gruppe sind Personen, die nicht bereit sind, offen und ehrlich mit mir zu kommunizieren. Wenn ich merke, dass mir jemand ein Märchen nach dem anderen auftischt oder wesentliche Sachverhalte verschweigt, dann verschwendet er nicht nur seine Zeit, sondern auch meine. Die zweite Gruppe sind Personen, denen es nicht um die Lösung ihres Problems geht, sondern um Rache an einer anderen Person. Es ist zwar gerade in familienrechtlichen Auseinandersetzungen die Regel, dass meine Mandanten nicht gut auf ihre früheren Partner zu sprechen sind – wenn ich allerdings merke, dass es den Mandanten vor allem darum geht, sich an ihren Ex-Partnern zu rächen, dann dürfen sie sich einen anderen Anwalt suchen. Da gibt es bei mir eine klare Grenze.
Rechtsanwalt Matthias Büchel: »Es geht dabei darum, die Worte der anderen Person an sich abprallen zu lassen. Dazu gibt es verschiedene psychologische Techniken, die den Betroffenen helfen können.«
Çiğdem Gül: Herr Büchel, wo liegt aus Ihrer Sicht als Privatperson und als Rechtsanwalt im gesetzlichen Kontext die Grenze zwischen Gut und Böse?
Matthias Büchel: Gut und Böse sind keine Kategorien, die ich verwende – und zwar weder als Privatperson, noch als Rechtsanwalt. Ob wir Menschen etwas für gut halten, hängt vor allem davon ab, ob es mit unseren eigenen Erwartungen übereinstimmt. Diese Erwartungen ergeben sich wiederum zum einen aus den Wertvorstellungen der Gesellschaft und denen des persönlichen Umfelds und zum anderen aus unseren eigenen Wünschen und Erfahrungen. Das führt dazu, dass die Einschätzung, was gut ist, bei jedem Menschen eine andere ist.
Çiğdem Gül: Inwieweit ist Recht gerecht?
Matthias Büchel: Ob Recht gerecht ist, ist auch eine Frage, die jeder Mensch anders beurteilt. Das ist ähnlich wie bei der Frage, warum wir etwas für gut halten. Sie brauchen sich nur in einem Gerichtsverfahren die Ansichten der beiden Parteien anzuschauen. Selbst wenn für beide Parteien der dem Rechtsstreit zugrunde liegende Sachverhalt übereinstimmend geklärt wäre – was eher selten der Fall ist – hätten diese trotzdem noch unterschiedliche Auffassungen darüber, was aus ihrer Sicht ein gerechtes Urteil wäre. Das liegt daran, dass beide Seiten den Sachverhalt unterschiedlich bewerten. Dementsprechend ist es für das Gericht praktisch unmöglich, ein Urteil zu sprechen, welches von beiden Streitparteien als komplett gerecht empfunden wird. Selbst wenn es so etwas wie eine objektive Gerechtigkeit geben sollte, würden wir Menschen aufgrund unserer subjektiven Sicht nicht mit dieser Beurteilung übereinstimmen.
Rechtsanwalt Matthias Büchel: »Auch beim Gaslighting kann es zu strafrechtlichen Konsequenzen kommen.«
Çiğdem Gül: Kommen wir zu einem Ihrer Schwerpunktthemen, dem Narzissmus im Familienrecht und Strafrecht: In der Realität sind sehr viele Menschen von narzisstischer Gewalt betroffen. Als Laie erscheint mir, dass diesem Feld in der Jurisprudenz keine hohe Beachtung beigemessen wird, obwohl im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland im Artikel 1 steht: »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.« Die Auswirkungen körperlicher Gewalt tragen bei einer polizeilichen Strafanzeige in den meisten Fällen eine strafrechtliche Konsequenz mit sich. Warum gibt es nicht einmal strafrechtliche Konsequenz bei der schwersten Form von psychischer Gewalt wie Gaslighting, die z. B. von einem Narzissten ausgeht?
Matthias Büchel: Auch beim Gaslighting kann es zu strafrechtlichen Konsequenzen kommen. Allerdings sind diese weniger wahrscheinlich als bei körperlicher Gewalt. Das liegt zunächst daran, dass es in Deutschland keine eigene Strafvorschrift für psychische Gewalt gibt. Um keinen straffreien Raum entstehen zu lassen, behelfen sich die Gerichte damit, die psychische Gewalt als Körperverletzung zu ahnden. Diese Vorschrift ist aber eigentlich auf körperliche Gewalt ausgelegt, sodass bei den Betroffenen auch körperliche Auswirkungen der psychischen Gewalt sichtbar sein müssen, wie z. B. starke Depressionen oder regelmäßige Panikattacken. Aber selbst wenn diese Auswirkungen vorliegen, muss auch noch nachgewiesen werden, dass diese auf das Verhalten des Täters zurückzuführen sind und nicht auf anderen Umstände im Leben der Betroffenen beruhen.
Der zweite Grund für eine seltenere strafrechtliche Ahndung liegt in der mangelnden Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden hinsichtlich der Techniken psychischer Gewalt und ihrer Auswirkungen.
Çiğdem Gül: Was wäre Ihr Vorschlag zum Inhalt der Gesetze im Strafrecht bzgl. Gaslighting, dem Schutz der Opfer und der strafrechtlichen Verfolgung der Täter?
Matthias Büchel: Ein Gesetz im Strafrecht müsste so formuliert sein, dass es jeder verstehen kann. Und genau da liegt schon das Problem. Theoretisch bestünde die Möglichkeit, psychische Gewalt unter Strafe zu stellen. Allerdings würde kaum jemand verstehen, was psychische Gewalt überhaupt ist. Bei einem Begriff wie Körperverletzung gibt es dieses Problem nicht. Würden wir eine Umfrage machen, ob ein Schlag mit der Faust ins Gesicht eine Körperverletzung ist, so würden 100 Prozent der Befragten dies völlig korrekt mit ja beantworten. Würden wir dagegen eine Umfrage machen, ob Gaslighting psychische Gewalt darstellt, so würden uns 90 Prozent aller Befragten nur völlig ratlos angucken, weil sie nicht wissen, was Gaslighting überhaupt ist. Das allein macht es derzeit praktisch unmöglich, ein passendes Gesetz zu formulieren.
Das zweite große Problem ist, dass Gaslighting-Techniken einzeln betrachtet noch als harmlos bezeichnet werden können und erst aufgrund der konstanten Fortführung zu den psychischen Schäden bei den Opfern führen. Das ist das gleiche Problem wie bei Mobbing, wofür es auch keine eigene Strafvorschrift gibt, obwohl alle wissen, welche schlimmen Folgen es für die Betroffenen hat. Es lässt sich außerdem nicht genau vorhersagen, ab der wievielten Handlung der Täter, bei den Betroffenen die psychischen Probleme auftreten, da jeder Mensch unterschiedlich resilient ist.
Die Ausgangslage hinsichtlich eines möglichen Strafgesetzes und damit auch für die Strafverfolgung ist also ausgesprochen kompliziert.
Hinsichtlich der Maßnahmen zum Schutz der Opfer vor Gaslighting steht bei mir Prävention an erster Stelle. Eine Person, die die Techniken des Gaslightings kennt, wird nicht mehr auf sie hereinfallen. Aus diesem Grund habe ich auch auf Anwalt.de eine ganze Reihe von Artikeln rund um das Thema Narzissmus und die damit einhergehenden Manipulationstechniken geschrieben. Das zweite, was wir bräuchten, wären besser informierte Mitarbeiter bei den Hilfseinrichtungen wie z. B. dem Weißen Ring.
Rechtsanwalt Matthias Büchel: »Die Kontaktsperre bzw. die Reduzierung des Kontaktes auf ein notwendiges Minimum ist nach einer Trennung von einem narzisstischen Partner das Beste, was die Betroffenen machen können. Ich hatte Fälle, in denen die Narzissten ihren Ex-Partnern in den Wochen nach der Trennung pro Tag zig Emails geschrieben haben. In der ersten stand eine Entschuldigung, in der zweiten wüste Beschimpfungen, in der dritten die Androhung rechtlicher Konsequenzen, in der vierten herzzerreißendes Anbetteln doch zurückzukommen, in der fünften die Ankündigung eines Selbstmordversuches, in der sechsten Morddrohungen gegen Angehörige der Betroffenen, in der siebten eine haarkleine Darlegung bezüglich der Schuld der Betroffenen an der Trennung usw.. […] So etwas zu lesen macht einen irre.«
Çiğdem Gül: Während meiner Tätigkeit als gesetzliche Betreuerin, also Rechtliche Berufsbetreuerin – für meine damals zeitgleich über 60 Fälle jeweils per richterlichen Gerichtsbeschluss bestellt – rief ich eines Tages für meinen konkreten Fall den zuständigen Berufsrichter an. Ich bat ihn, meinen Klienten nach Ende seines gerichtlich festgelegten fremdbestimmten Aufenthaltes ihn im Anschluss direkt in die Psychiatrische Klinik einweisen zu lassen, weil von ihm ernstzunehmende Fremdgefährdung gegenüber seiner Ex-Ehefrau ausging. Dieser Klient hatte mir gegenüber mehrfach geäußert, dass er seine Frau umbringen wollte. Die folgende Antwort des Berufsrichters brachte mich erneut zum Nachdenken: »Frau Gül, ich sehe den Fall genauso wie Sie, leider sind meine Hände gesetzlich gebunden. Ich kann nicht so handeln wie ich möchte. Daher wird Ihr Klient nach seiner Entlassung aus der Haft auf freiem Fuß sein.« Herr Büchel, warum wird im deutschen Gesetz die psychische Körperverletzung nicht direkt erfasst?
Matthias Büchel: In Ihrem Fall ging es um das Problem der nachträglichen Sicherungsverwahrung. Das ist ein Bereich, in dem sich die rechtliche Situation in den letzten zehn Jahren sehr verändert hat. Grundprinzip ist immer, dass ein Täter, der die Strafe für seine Tat verbüßt hat, auch wieder auf freien Fuß gelangen muss. Jedes weitere Festhalten in staatlichem Gewahrsam ist Freiheitsberaubung. Dementsprechend hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch lange Zeit geurteilt, dass eine rückwirkende Verlängerung des Gewahrsams nicht zulässig ist. Vor einigen Jahren hat sich diese Rechtsprechung allerdings geändert. Zurzeit ist die Rechtslage grob umrissen so, dass das Gericht bei sehr schweren Straftaten gegen die persönliche Freiheit, das Leben oder die sexuelle Selbstbestimmung die Möglichkeit hat, sich die zusätzliche Anordnung einer späteren Sicherungsverwahrung vorzubehalten. Das geht allerdings auch nur dann, wenn sich feststellen lässt, dass der Täter eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt.
Çiğdem Gül: Wie erklären Sie sich, dass die Politik bis heute eher ein Desinteresse bei dem Thema narzisstischer Gewalt in Bezug auf Einbringen von Gesetzesvorlagen aufweist?
Matthias Büchel: Ich würde es nicht Desinteresse nennen, da dies impliziert, dass das Problem allen Politikern bewusst ist – aber ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Der Grund dafür liegt darin, dass Politik immer erst nachträglich auf auftretende Probleme reagiert. Solange die Formen und Techniken narzisstischer Gewalt weder innerhalb der Bevölkerung noch in der Politik bekannt sind und nicht öffentlich als gesellschaftliches Problem thematisiert werden, besteht aus politischer Sicht kein Anlass zu handeln. Das ist aber nichts, was ich der Politik vorwerfe. So funktioniert einfach unsere Gesetzgebung.
Çiğdem Gül: Wie kann man Polizeibeamte, Staatsanwälte, Berufsrichter und Schöffen dazu bringen, sich mit dem Thema der narzisstischen Persönlichkeitsstörung auseinanderzusetzen?
Matthias Büchel: Würde man versuchen, jede der genannten Personen einzeln dazu zu motivieren, so bräuchte man dafür wohl mehrere Leben Zeit. Das geht daher aus meiner Sicht nur über ein Einbeziehen dieses Themas in die Aus- und Weiterbildung. Schon ein kleiner Kurs von zwei oder drei Stunden könnte Wunder bewirken. Wenn erst einmal ein Bewusstsein dafür geschaffen ist, dass es ein Problem gibt, kommt das Interesse, sich damit weiter zu beschäftigen, zumeist ganz von selbst. Die Menschen in diesen Berufsgruppen machen ihre Arbeit ja schließlich, um anderen Menschen zu helfen und wollen dies auch so gut wie möglich tun.
Çiğdem Gül: Wie gehen Sie mit den Flying Monkeys – der unterstützenden Gefolgschaft des narzisstischen Gegners – um, die vor Gericht als Zeugen aussagen?
Rechtsanwalt Matthias Büchel: »Ich mache Ihnen klar, welche rechtlichen Konsequenzen es hat, wenn Sie bewusst eine falsche Aussage machen. Das Strafmaß liegt zwischen drei Monaten und fünf Jahren Freiheitsstrafe. Falschaussagen vor Gericht sind kein Kavaliersdelikt.«
Çiğdem Gül: In der anwaltlich-familienrechtlichen und anwaltlich-strafrechtlichen Beratungspraxis nimmt das Thema Narzissmus einen immer größeren Platz ein. Beginnen wir mit einem konkreten Fall: Eine betroffene Mandantin kontaktiert Sie und teilt mit, dass sie sich in einer Beziehung oder Ehe mit einem Narzissten befindet. Sie benötigt Beratung und Hilfe, um den narzisstischen Partner/Ehemann nachhaltig loszuwerden. Wie ist der Ablauf des Gespräches? Wie gehen Sie konkret vor? Und welche Informationen und Nachweise sollte Ihre angehende Mandantin bereitstellen?
Matthias Büchel: Im ersten Beratungsgespräch geht es für mich als erstes darum herauszufinden, ob eine akute Bedrohungslage für die Mandanten vorliegt. Wenn dies der Fall ist, ist alles andere erst einmal zweitrangig. Ansonsten frage ich die Mandanten, was sie in den letzten Jahren erlebt haben. Für mich ist es wichtig zu erfahren, was innerhalb der Beziehung alles passiert ist. Das ist zum einen aus juristischer Sicht relevant, zum anderen erhalte ich dadurch einen ersten Eindruck von der Persönlichkeit des Ex-Partners. Hilfreich ist es, wenn sich die Betroffenen vorher schon aufgeschrieben haben, zu welchen einschneidenden Vorfällen es gekommen ist. Das hilft mir enorm dabei, den Sachverhalt zu erfassen. Danach gebe ich den Mandanten einen Überblick über das weitere Verfahren und erkläre ihnen, welche Schritte zuerst anstehen und wie sie diese meistern können, ohne die Situation direkt eskalieren zu lassen.
Çiğdem Gül: Welche Stufen von juristischen Möglichkeiten haben Betroffene gegen Narzissten in Beziehungen?
Matthias Büchel: Der allererste Schritt, den Betroffene gehen müssen, bevor juristische Maßnahmen überhaupt auch nur angedacht werden können, ist die Trennung von ihren narzisstischen Partnern. Dieser Schritt klingt einfach, ist in der Realität für die Betroffenen aber unglaublich schwer. Narzissten sind in der Lage, ihre Partner derart zu manipulieren, dass diese allein bei dem Gedanken an eine Trennung ein Gefühl ähnlich wie Todesangst verspüren. Außenstehende können sich kaum vorstellen, in welcher psychischen Abhängigkeit die Betroffenen sich befinden. Im Anschluss an die Trennung kommen je nach Verhalten der Narzissten Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz in Betracht oder auch eine Strafanzeige. Danach kommt es wie bei der Beendigung normaler Beziehungen zum Scheidungsverfahren.
Çiğdem Gül: Was ist – Ihrer Erfahrung nach – für die betroffenen Mandanten bei der anwaltlichen Vorbereitung auf einen Gerichtsprozess mit einem gegnerischen Narzissten zu beachten?
Matthias Büchel: Die wichtigste Aufgabe, die meine Mandanten bei solchen Verfahren haben, ist gesund zu bleiben oder zu werden. Das klingt jetzt erst einmal sonderbar, allerdings haben die meisten meiner Mandanten eine grausame Zeit hinter sich, die sowohl psychisch als auch physisch Spuren hinterlassen hat. Die Verfahren selbst dauern mehrere Monate – zum Teil auch Jahre. Dabei erleben die Mandanten von der Gegenseite ständig Vorwürfe und die Verdrehung von Tatsachen. Zudem müssen sie häufig mehrfach vor Gericht Auge in Auge mit den Narzissten sitzen. Das ist extrem belastend.
Çiğdem Gül: Auf der einen Seite haben wir die Narzissten, die zum Überleben seit ihrer Kindheit intuitiv Strategien entwickelt haben. Diese Strategien haben sie im Erwachsenenalter nicht nur optimiert, sondern auch perfektioniert. Sie dienen dem Narzissten zu seiner Verteidigung, Manipulation und Gewaltanwendung. Gegen diese Strategien kommen neurotypische und co-abhängige Menschen, sowie die Flying Monkeys des Narzissten kaum oder gar nicht an. Auf der anderen Seite haben wir die Rechtsanwälte und die Staatsanwälte, die im juristischen und gesetzlichen Rahmen ihre Strategien entwickelt zu haben scheinen, um einen Gerichtsprozess zu gewinnen. Welche zusätzlichen strategischen Handlungsmöglichkeiten haben Rechtsanwälte und Staatsanwälte, um sich bei einem Gerichtsprozess gegen die Strategien und Taktiken des narzisstischen Täters durchzusetzen?
Matthias Büchel: Für Staatsanwälte stellen sich bei Angeklagten mit narzisstischen Persönlichkeitsstörungen in der Regel keine zusätzlichen Schwierigkeiten bezüglich ihrer Strategie. In Strafprozessen haben die Angeklagten das Recht zu lügen, sofern sie dabei nicht andere Personen fälschlicherweise einer Straftat bezichtigen. Das ergibt sich aus dem Grundsatz, dass sich ein Angeklagter niemals selbst belasten muss. Würde man dem Angeklagten trotzdem verbieten zu lügen, so wäre das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, komplett wirkungslos. Jedes Schweigen des Angeklagten käme einem Geständnis gleich. Insofern ist es aus Sicht eines Staatsanwaltes der Normalfall, dass ihm in der Verhandlung ein Angeklagter gegenübersitzt, der die Wahrheit pausenlos verdreht und sich zum Opfer stilisiert.
Aus Sicht eines Rechtsanwalts ist die Lage dagegen gerade bei Zivilprozessen schwieriger. Im Vorfeld kann man sich zwar ein ungefähres Bild von den Verhaltensweisen der Person auf der Gegenseite machen, zum Beispiel durch die Berichte der Mandanten oder durch Emails der Ex-Partner. Diese zeigen aber nicht genau, wie diese Person auf verschiedene Situationen im Gerichtsverfahren reagieren wird. Es läuft daher beim Gerichtsverfahren sehr viel intuitiv ab. Wenn man sich längere Zeit mit Narzissmus beschäftigt hat, bekommt man aber ein Gefühl dafür, was im einzelnen Fall funktionieren kann und was nicht.
Çiğdem Gül: Mit welchen typischen Strategien, Taktiken, fiesen Tricks und Verhaltensweisen des narzisstischen Gegners müssen Sie und Ihre betroffenen Mandanten rechnen?
Matthias Büchel: Die Taktik, die den betroffenen Mandanten am meisten zusetzt, ist die Täter-Opfer-Umkehr, die sie auch schon während ihrer Beziehung regelmäßig erlebt haben. Personen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung sind aus ihrer Sicht praktisch niemals verantwortlich für das, was sie den Betroffenen antun. Das setzt sich vor Gericht fort. Und so sitzen die Betroffenen dann in den Gerichtsverfahren der Person gegenüber, die sie über Jahre hinweg tyrannisiert hat und dürfen sich von dieser anhören, dass sie die eigentlichen Täter sind. Diese Geschichten können die narzisstischen Gegner in den Verhandlungen vortragen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Das ist für die betroffenen Mandanten brutal.
Çiğdem Gül: Wie gehen Sie mit den Flying Monkeys – der unterstützenden Gefolgschaft des narzisstischen Gegners – um, die vor Gericht als Zeugen aussagen?
Matthias Büchel: Ich mache Ihnen klar, welche rechtlichen Konsequenzen es hat, wenn Sie bewusst eine falsche Aussage machen. Das Strafmaß liegt zwischen drei Monaten und fünf Jahren Freiheitsstrafe. Falschaussagen vor Gericht sind kein Kavaliersdelikt.
Çiğdem Gül: Ist »No Contact« Ihrer Mandantinnen zu ihrem narzisstischen Partner eine sinnvolle Herangehensweise, wenn sie sich trennen? Das könnte nach der 3-jährigen Corona-Pandemie in Deutschland resultierte negative Wohnsituation und Wohnknappheit, wegen gemeinsamer Kinder oder aufgrund finanzieller Abhängigkeiten undenkbar sein – was dann?
Matthias Büchel: Die Kontaktsperre bzw. die Reduzierung des Kontaktes auf ein notwendiges Minimum ist nach einer Trennung von einem narzisstischen Partner das Beste, was die Betroffenen machen können. Ich hatte Fälle, in denen die Narzissten ihren Ex-Partnern in den Wochen nach der Trennung pro Tag zig Emails geschrieben haben. In der ersten stand eine Entschuldigung, in der zweiten wüste Beschimpfungen, in der dritten die Androhung rechtlicher Konsequenzen, in der vierten herzzerreißendes Anbetteln doch zurückzukommen, in der fünften die Ankündigung eines Selbstmordversuches, in der sechsten Morddrohungen gegen Angehörige der Betroffenen, in der siebten eine haarkleine Darlegung bezüglich der Schuld der Betroffenen an der Trennung usw.. Wenn Sie das alles lesen würden, könnten Sie sich nach zwei Wochen selbst in eine Anstalt einweisen lassen. So etwas zu lesen macht einen irre.
Wenn Kinder mit im Spiel sind, wird die Kontaktsperre außerordentlich schwierig. Jede Kontaktaufnahme, um Absprachen über die Angelegenheiten der Kinder zu treffen, wird von dem narzisstischen Partner dazu genutzt, um die Betroffenen zu beschimpfen, abzuwerten oder zu manipulieren. In diesen Situationen hilft den Betroffenen nur eine Einstellung, die ich als professionelle Distanz beschreiben würde. Es geht dabei darum, die Worte der anderen Person an sich abprallen zu lassen. Dazu gibt es verschiedene psychologische Techniken, die den Betroffenen helfen können.
Çiğdem Gül: Welche psychologischen Techniken gibt es, um die Worte des narzisstischen Partners an sich abprallen zu lassen?
Matthias Büchel: Eine Technik besteht darin, die Worte des narzisstischen Partners genauso wie negative Umwelteinflüsse zu betrachten. Wenn Sie beispielsweise im Herbst im Park spazierengehen und es fängt an zu regnen, so würden Sie nicht zögern, Ihren Schirm zu öffnen. Warum? Weil Sie wissen, dass die Chancen gut stehen, krank zu werden, wenn Sie bei niedrigen Temperaturen völlig durchnässt draußen unterwegs sind. Genau solche negativen Auswirkungen können auch die Worte anderer Menschen haben, die Ihnen nicht wohlgesonnen sind. In diesen Fällen können Sie sich vorstellen, dass Sie einen mentalen Regenschirm aufspannen, an dem die Worte der anderen Person abprallen – oder Sie stellen sich vor, dass Sie eine Rüstung voller kleiner Spiegel tragen, an der alle negativen Aussagen Ihres Gegenübers zurückreflektiert werden.
Çiğdem Gül: Gibt es auf politischer und juristischer Ebene Bemühungen, das gegenwärtige Gesetz zum Sorgerecht auf Elternteile mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung zu erweitern? Wenn ja, welche?
Matthias Büchel: Derartige Bemühungen sind mir nicht bekannt und aus meiner Sicht auch nicht nötig. Die jetzigen Gesetze zur Regelung des Sorgerechtes orientieren sich grundsätzlich am Kindeswohl. Es geht also darum, ob die Eltern den Kindern eine gesunde physische und psychische Entwicklung ermöglichen können. Mit diesen Regelungen ist ein Schutz vor den negativen Verhaltensweisen eines Elternteils auch in psychischer Hinsicht durchaus möglich. Das Problem im Bereich Sorgerecht liegt im Gegensatz zum Strafrecht weniger auf der gesetzlichen Ebene als vielmehr darin, dass Richter, Jugendamtsmitarbeiter und Verfahrensbeistände nicht gerade gut über narzisstische Persönlichkeitsstörungen und ihre Auswirkungen informiert sind.
Çiğdem Gül: Wenn Sie narzisstische Mandanten vertreten sollten: Wie lösen Sie in Zusammenarbeit mit einem narzisstischen Mandanten eine nicht konstruktive Diskussion, die vom Mandanten Ihnen gegenüber ständig gefühlte Kränkung und Macht-Ungleichgewicht sowie eine Auseinandersetzung nach einer vom Mandanten ausgehende und gescheiterte Manipulation?
Matthias Büchel: Ich vertrete höchstens Mandanten mit einer leichten narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Diesen sage ich direkt zu Beginn des Mandats, welche Verhaltensweisen ich nicht toleriere. Welche das sind, hatte ich zu Beginn unseres Gespräches schon erwähnt. Wer also will, dass ich ihm helfe, sollte sich daran halten.
Çiğdem Gül: Bei einem der drei Amtsgerichte, für die ich als Rechtliche Berufsbetreuerin tätig war, erzählte mir ein Berufsrichter im Gespräch, dass es jährlich eine Art Ausschreibung für Berufsrichter gäbe. Ausgewählte Berufsrichter, die sich hierfür beworben hätten, durften als Gruppe nach China reisen, um das chinesische Recht und die dortigen Arbeiten der chinesischen Berufsrichter kennenzulernen. Wäre es nicht besser, wenn sie in Deutschland bleiben würden und sich lieber mit dem Thema der narzisstischen Persönlichkeitsstörung beschäftigen würden? Schließlich werden in Deutschland und Europa auf allen Ebenen fleißig Narzissten »gezüchtet«, die ihre mehreren Folgegenerationen seelisch missbrauchen und vergiften können. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Matthias Büchel: Ob in Deutschland wirklich so fleißig Narzissten »gezüchtet« werden, wie man in Zeiten von Social Media und der dortigen Selbstdarstellung erwarten könnte, lässt sich leider nicht genau sagen. Nach dem in der Medizin angewandten Klassifikationssystem für psychische Krankheiten (DSM-5) liegt dann eine narzisstische Störung vor, wenn eine Person fünf der dort aufgeführten neun Verhaltensweisen an den Tag legt. Solche Verhaltensweisen sind zum Beispiel das Ausnutzen anderer Menschen für die eigenen Ziele, Neid gegenüber den Erfolgen anderer Menschen und das Verlangen nach übermäßiger Bewunderung. Es gibt also keine festen Kriterien, sondern eine Vielzahl an Kombinationsmöglichkeiten von verschiedenen Verhaltensweisen. Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, dass einige der Kriterien aus Begriffen bestehen, die Raum für Interpretation lassen. Das macht es unglaublich schwer, exakt festzustellen, wie viele Personen in diesem Land wirklich eine narzisstische Persönlichkeitsstörung haben und ob es heutzutage mehr sind als früher und, ob es in Europa mehr sind als in anderen Regionen.
Aber zurück zu Ihrer Frage nach der Fortbildung der Richter. Ich finde es grundsätzlich gut, dass Richter die Möglichkeit zum interkulturellen Austausch bekommen. Ich fände es aber natürlich genauso gut, wenn die Richter daneben noch etwa Zeit finden würden, um sich psychologisch fortzubilden.
Çiğdem Gül: Herr Büchel, vielen Dank für das Gespräch.
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