Sebastian Panny: Warum ein Hochbegabter es trotzdem nicht schafft


Oscar Picazo
 
 
 
 

Warum ein Hochbegabter

 

es trotzdem nicht schafft

 
 
 
 

Sebastian Panny

Österreich – 19. Januar 2021

 
 

Man muss entweder sehr begabt oder sehr fleißig sein, um im Leben voranzukommen, heißt es oft. Beides trifft auf den hochbegabten Johannes zu – doch die Umstände halten ihn zurück.

 
Dass der heute 22-jährige Johannes hochbegabt ist, haben er und sein Umfeld früh erkannt. Mit eineinhalb Jahren fängt er an zu sprechen, die Kinderärztin bemerkt bald, dass das Kind eine sehr schnelle Auffassungsgabe hat. Im Kindergarten blicken die anderen Kinder zu ihm auf, in der Volksschule gibt ihm die Lehrerin teilweise Aufgaben, die die anderen Kinder nicht bekommen. Dass er nicht wie die anderen ist, fällt Johannes zu dieser Zeit so richtig auf. Ihm geht es wie etwa 160.000 Menschen in Österreich, die einen IQ von über 130 aufweisen. Das gilt als Grenzwert für intelligente Hochbegabung. Die Probleme in seiner Familie registriert Johannes dennoch erst sehr viel später.
 

»Es gab nicht nur einen Abend, an dem ich ohne Essen ins Bett gegangen bin«

 

Johannes wurde in eine prekäre Situation hineingeboren. Die Mutter, Johanna, stammt aus einer Bauernfamilie. Sie musste die Schule mit 14 Jahren abbrechen, um nach dem Tod ihres Vaters am heimischen Hof auszuhelfen. Die Matura und den Studienabschluss hat sie im zweiten Bildungsweg nachgeholt. Ihren Sohn zieht sie alleine groß, der Vater wollte keinen Kontakt. Wie viele Alleinerzieherinnen hat auch sie ständig mit finanziellen Problemen zu kämpfen. “Es gab nicht nur einen Abend, an dem ich ohne Essen ins Bett gegangen bin. Teilweise mussten wir mit 1.200 Euro über das Monat kommen”, sagt Johanna.

In Österreich gibt es etwa 170.000 Alleinerziehende, 90 Prozent davon sind Frauen. Sie sind enorm stark von Armut gefährdet: Laut Statistik Austria ist etwa jede sechste Person in Österreich armutsgefährdet oder von Armut betroffen, bei Alleinerziehenden ist es jedoch fast jede zweite. Die Armutsgrenze für einen Erwachsenen mit Kind liegt bei einem Monatseinkommen von 1.670€. Nur jede zweite Alleinerzieherin bekommt regelmäßig Unterhalt vom Vater des Kindes.

Den hat Johanna nie bekommen – der Vater hat sich nach der Geburt des Sohnes geweigert, eine Vaterschaftserklärung zu unterzeichnen. Eine Klage hätte damals wohl Erfolg gehabt. Doch die Mutter hatte Angst, dass das einem normalen Verhältnis ihres Sohnes zu dessen Vater im Weg stehen könnte. Dazu ist es aber ohnehin nie gekommen. Bis heute hat Johannes seinen Vater nur ein einziges Mal zu Gesicht bekommen, als er sich bei ihm für ein Praktikum beworben hat. Dass der Mann sein Vater ist, hat er erst danach erfahren.

 

Hochbegabung ist Fluch und Segen

Die kleine Familie kommt finanziell lange Zeit trotzdem irgendwie über die Runden. Besonders zu schaffen macht Johannes die Situation in der Volksschulzeit im Innviertel: Seine Hochbegabung macht ihn zum Außenseiter. Die Lehrerin geht nicht auf seine Begabung ein, sie kommt mit einem Schüler, der aus der Norm fällt, nicht zurecht. Die anderen Kinder meiden ihn. Er bringt sich zwar sehr viel selbst bei, doch das alles macht ihm zu schaffen. “Ich habe einfach unglaublich viel gegessen, um mit der Einsamkeit umgehen zu können”, sagt Johannes.

Der Umgang mit den MitschülerInnen wird über die Jahre besser, im Gymnasium und an der Universität fühlt er sich akzeptiert. Aber diese Art, mit Problemen umzugehen, kann er nicht ablegen. Zeitweise ist er schwer übergewichtig und bekommt Herzprobleme, gegen die er immer noch Medikamente einnehmen muss, die ihm geistige und körperliche Energie rauben. “Meine Begabung ist Fluch und Segen zugleich. Einerseits behalte ich alles was ich höre und lese in meinem Kopf. Aber andererseits zerlege ich jede Information bis ins kleinste Detail und stehe mir dadurch selbst im Weg”, sagt Johannes.

 

Finanzielle Probleme stehen im Weg

Die erste Klasse des Gymnasiums überspringt Johannes. Schon mit 15 Jahren inskribiert er an der Universität, er möchte Jus studieren. Er schafft die erste große Prüfung, bei der 70 Prozent durchfallen, beim ersten Versuch. Zwei Jahre später macht er die Matura, kurz darauf schließt er auch den ersten Studienabschnitt ab. Doch das Studium bedeutet auch einen zusätzlichen finanziellen Aufwand, alleine die notwendige Literatur kann schon einen vierstelligen Betrag ausmachen. Seine Mutter will ihm die Ausbildung aber um jeden Preis ermöglichen. Lange Zeit macht sich Johannes keine Gedanken über das Geld. Bis eines Tages der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht. “Ich habe in meiner Schulzeit schon unbewusst gemerkt, dass das Geld knapp ist. Doch als dann der Gerichtsvollzieher bei uns im Haus stand, war das ein irrsinniger Schock für mich. Ich wusste ja nicht einmal genau, was der hier überhaupt macht”, sagt Johannes. Er ist 17 Jahre alt und alleine daheim, als zum ersten Mal etwas gepfändet wird. Es wird nicht das letzte Mal bleiben.

Seine Mutter kommt mit der Situation nicht mehr zurecht: “Ich habe jahrelang rund um die Uhr gearbeitet und das auch extrem gerne. Je mehr ich gearbeitet habe, desto mehr Kraft habe ich bekommen – so hat es sich zumindest angefühlt. Aber es gibt den gesunden und den falschen Stolz. Und den falschen habe ich aus der Landwirtschaft daheim mitgenommen. Ich musste immer alles selbst organisieren und mit mir ausmachen”, sagt sie.

Als ihr Sohn maturiert, verlässt die Mutter langsam die Kraft. Der finanzielle Druck wird immer größer, bald verliert sie ihr Auto, dann ihren Job. Die Zwangsversteigerung ihres Hauses kann sie gerade noch abwenden, verkaufen muss sie es trotzdem. Die beiden ziehen nach Salzburg. Der Mutter geht es psychisch immer schlechter.

 

Mit dem Leben abgeschlossen

Seine Mutter habe sich immer weiter zurückgezogen, erzählt Johannes. Sie lebt mit ständigen Existenzängsten, die sie immer mehr zermürben. Schließlich erzählt sie einer Freundin davon, dass sie mir ihrem Leben abgeschlossen hat. Die Freundin wendet sich an Johannes, gemeinsam können die beiden Johanna davon überzeugen, sich behandeln zu lassen. Sie geht für fünf Wochen in die Psychiatrie. In der Zwischenzeit arbeitet Johannes mit der Freundin der Mutter daran, die finanzielle Situation einigermaßen in Ordnung zu bringen.

Kurz danach ziehen sie wieder in die Nähe ihres alten Wohnortes, Johannes bleibt wegen des Studiums einige Zeit in Salzburg. Doch die psychischen Probleme der Mutter kommen noch stärker zurück. Vor einem Jahr findet sie der Sohn nach einem Suizidversuch daheim im Bett. Johanna überlebt nur knapp. Mittlerweile ist sie, auch aufgrund einer Psychotherapie, psychisch stabil. “Als ich das erste Mal zur Therapeutin ging, war das furchtbar für mich. ‘So tief bist du also gefallen, dass du das brauchst’, habe ich mir gedacht”, sagt Johanna. Doch seitdem habe sie gelernt, Hilfe zu akzeptieren. Auch deswegen hat sie sich nun zum an die Öffentlichkeit gewandt. Sie hofft auch, dass dadurch jemand auf ihre Situation aufmerksam wird und die Familie unterstützt. Denn die Situation ist vor allem für ihren Sohn aktuell schwierig.

 

Schwieriger Blick nach vorne

Johannes ist in all dieser Zeit mit seinem Studium kaum vorangekommen. Zu sehr habe ihn die Situation mit seiner Mutter belastet. “Es gab viele Tage, da bin ich in der Früh dagelegen und habe mich gefragt, was das alles für einen Sinn hat”, sagt Johannes. Zwischenzeitlich habe er wegen all der Sorgen auch wieder begonnen, mehr zu essen.

Jetzt wollen er und seine Mutter gemeinsam nach vorne blicken. Die finanzielle Situation ist jedoch immer noch ein großes Problem. “Ich gebe zwar Nachhilfe, aber kann momentan auch wegen der Medikamente gegen meine Herzprobleme nicht viel machen. Eine Arbeit, wie im Supermarkt Regale einordnen, kann ich nicht machen. Und Rechtsberatung darf ich keine geben”, sagt Johannes.

Trotz aller erzwungener Unterbrechungen und Hürden war Johannes dieses Jahr auf dem Weg, endlich den zweiten Studienabschnitt abzuschließen. Damit hätte er drei Viertel des Studiums hinter sich. Doch er steckt jetzt seit fast einem Jahr fest. Denn als im März die Corona-Krise begann, wurde alles auf Fernlehre umgestellt. Die benötigte Prüfung könnte Johannes zwar grundsätzlich online ablegen – aber er kann sich die dafür notwendige technische Ausrüstung einfach nicht leisten.

 

© Sebastian Panny

 
 
 

Dieser Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung des Autors Sebastian Panny gemäß Lizenz des Artikels (CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de ) veröffentlicht.

Hier der Link zum Originalartikel „Warum ein Hochbegabter es trotzdem nicht schafft“ beim Momentum Institut in Österreich

 

Das Bild wurde mit freundlicher Genehmigung des Fotografen © Oscar Picazo (Las Vegas/USA) veröffentlicht.

 
 
 

Wenn du selbst oder Menschen in deinem Umfeld unter Suizidgedanken leiden, kannst du dich an folgende Stellen wenden:

Die regionale Telefonseelsorge deines Landes steht dir rund um die Uhr telefonisch, per Mail und Sofortchat zur Verfügung.
Auch der sozialpsychiatrische Notdienst steht dir rund um die Uhr telefonisch zur Verfügung.

 
 
 
 
 

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